
Seit einigen Wochen bin ich Gewächshaus-Gärtnerin. In meiner kleinen Welt mit sechs Quadratmetern hege und pflege ich Gurken, Paprika und Tomaten. Die Tomaten mag ich am allerliebsten. Schon im Februar, beim Aussäen der Samen in Fensterkisterl, habe ich die saftigen, roten Paradeiser vor meiner Nase baumeln sehen und die kleinen Pflänzchen mit viel Hingabe aufgezogen. Nur die beste Erde kam ins Gewächshaus, dazu habe ich mit Horn-Späne, Brennnesselwasser und Beinwelljauche gedüngt, täglich gegossen sowie für ausreichend Luft und Licht gesorgt.
Bald kamen erste gelbe Blüten und die ersten grünen Früchte. Man konnte den Pflanzen beim Wachsen zusehen. Sie schossen nach oben, nach unten, zur Seite. Sie streckten ihre Triebe in alle Himmelsrichtungen. Ich war stolz auf die Glashaus-Pracht und surfte auf einer Gemüse-Erfolgswelle.
Doch dann wendete sich das Blatt. Beziehungsweise die Tomaten-Blätter. Sie wucherten alles zu.
Ich kam mit dem Stützen, Anbinden und Festmachen nicht mehr nach. Mir fehlte auf einmal der Durchblick. Ich konnte nicht mehr sehen, zu welcher Pflanze welcher Trieb gehörte. Zaghaft zwickte ich dort und da etwas weg. Munter wuchsen und blühten die Stauden weiter und entwickelten ellenlange Seitenarme, mit denen sie sich an ihren Nachbarn festhielten.
Ich erkannte, dass es so nicht weitergehen konnte.
Mir wurde klar, dass ich den Kapitalfehler in der Tomatenzucht gemacht hatte.
Ich hatte übersehen, rechtzeitig einen klaren Schnitt zu machen.
Ich hatte meinen Tomatenpflanzen uneingeschränktes Wachstum erlaubt.
Ich hatte nicht gewagt, ihnen ihre Grenzen aufzuzeigen.
Nun drohten sie unter der Last ihrer Blätter, Triebe und Früchte zusammenzubrechen. Einer wurde es tatsächlich zu viel. Sie knickte ein. Es tat mir weh, diese Pflanze mit den fast erntereifen Früchten auf den Kompost werfen zu müssen.
Und doch war dieses Erlebnis der Startschuss für eine späte Radikalkur. Ich nahm meine Schere und begann, die Stauden zurecht zu stutzen. Mit dem Wissen, dass diese Schnitte die einzige Chance waren, meine bevorstehende Ernte zu retten, trennte ich alles Instabile, Ellenlange und Wuchernde vom Hauptspross. Etliche Blüten und sogar einige kleine Tomatenfrüchte fielen meiner Schneiderei zum Opfer. Das war kein angenehmes Gefühl.
Jetzt sehen sie aus wie gerupfte Hühner, meine Paradeiser-Pflanzen.
Ich hoffe sie verzeihen mir, dass ich vom Wachstum geblendet war und Tomaten auf den Augen hatte.