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Omas Fingerhut

Ich weiß nicht, warum ausgerechnet bei mir Omas Knopf-Schachterl gelandet ist.

Geschneidert habe ich schon seit vielen Jahren nicht mehr, und eine begeisterte und talentierte Handarbeiterin war ich noch nie.

Wahrscheinlich hat mir einfach die schöne, geblümte Schatulle aus Karton, in der Oma ihre Knöpfe aufbewahrte, gefallen und ich habe sie, nachdem sie verstorben ist, als Andenken mitgenommen.

Einige Jahre ist sie jetzt unbeachtet in meinem Nähschrank gestanden.

 

Gestern habe ich sie herausgeholt, um etwas Ordnung in meine Schneider-Utensilien zu bringen. Als ich die Schachtel öffnete, fiel mein Blick auf den Fingerhut, der inmitten der buntgemischten, alten Knöpfe herausragte.

 

Omas Fingerhut.

 

Sofort steckte ich ihn mir an meinen linken Zeigefinger.

Ich musste schmunzeln, denn irgendwie sah es aus, als würde mein Finger einen Helm tragen. Und eigentlich ist das ja genau die vorgesehene Funktion eines Fingerhutes. Als Helm bzw. Hut vor schmerzenden Stichen zu schützen.

 

Mir gefiel auch die Vorstellung, dass genau dieser kleine Stahlhelm einmal auf Omas Finger gesessen war. Sie wird damit aufgewetzte Fersen von Wollsocken und Löcher in zerschlissenen Arbeitshosen gestopft sowie aufgetrennte Säume von feingerippten Unterhemden und Knöpfe in sperrige Flanellhemden genäht haben.

 

Ob ich Socken stopfen könnte, überlege ich. Gelernt habe ich es nie, aber irgendwie würde ich das schon zusammenschustern.

Aber wer stopft heute überhaupt noch Socken? Wenn, dann die Generation 70plus, die vor der Entwicklung der „Wohlstandsgesellschaft“ aufwuchs, den Mangel noch erlebte und für die Textiles daher einen hohen Stellenwert hat.

 

Ja, auch ich bin ein Kind des Wohlstands und des Überflusses, obwohl in meiner Jugend echte Levis-Jeans und die klassischen Jogging-High finanziell nicht erschwinglich waren.

Ja, auch ich kaufe mir gern etwas Neues zum Anziehen.

Aber irgendwie hat mich der Fingerhut meiner Oma wieder daran erinnert, sorgfältig und achtsam damit umzugehen.

Meine Großtante, die Moam, fällt mir ein. Sie hat alte, nicht mehr getragene Kleidungsstücke gesammelt und mit ihrer riesigen Schneiderschere in 3 cm breite Streifen geschnitten. Diese wurden zu großen Knäueln gewickelt und dem Teppichweber gebracht. Wunderschöne Fleckerlteppiche sind daraus geworden. 

Ich möchte die "gute alte Zeit" nicht zurück und bin überzeugt, dass früher nicht alles besser war.
Dennoch gefällt mir diese Kreislaufwirtschaft, wie sie bei unseren Vorfahren ganz alltäglich war.

 

Die Quintessenz von dieser Gschicht?

Ehrlich gesagt, mir fällt diesmal kein tieferer Sinn hinter meiner Schreiberei ein.

 

Jedenfalls durfte ich beim Tippen schmunzeln, ja sogar lachen.

In Dankbarkeit habe ich an die Oma gedacht.

Und mein Nähzubehör ist jetzt auch feinsäuberlich sortiert.

 

Das ist für ein klirrend kaltes Wochenende im März, nach der Härte der letzten Monate, gar keine so schlechte Bilanz.

 

Zeit, den Finger-Hut zu ziehen.

Danke, Leben.

 © Carmen Wurm

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Kommentare: 2
  • #1

    Anita (Sonntag, 21 März 2021 19:09)

    Wieder mal sehr inspirierend liebe Carmen. Ich hab leider gar kein Andenken von meiner Oma, war nicht da, als alles aufgeteilt wurde....Fleckerlteppiche vermisse ich, und das Gefühl der Geborgenheit wenn Mama an kalten Winternachmittagen die Altkeider zu Steifen und Knäuel verarbeitet hat und wir dabei in der warmen Stube zusammen saßen.

  • #2

    Carmen (Dienstag, 23 März 2021 07:27)

    Schöne Erinnerungen!
    Fleckerlteppiche gibt's auch heute noch, zb in der Weberei Zimmerbauer in Klaffer.